Kurzgedichte zum Stottern von Steffen Paschke
(Sonderpädagoge, aktiv in Selbsthilfebewegung stotternder Menschen, Stotterer)
In Bildern sprechen
Seit meiner Kindheit stottere ich
Und schreibe darüber
Essays, Dialoge, Lyrik
Mit Gedichten
Lassen sich Erkenntnisse in Bildern ausdrücken
Reitstunde
Wir legen ihnen Zaumzeug an
Steigen auf ihr glattes Fell
Lenken sie, wohin wir wollen
Stärker als wir sind sie
Doch können wir sie steuern
Mit Zügeln in der Hand
Stottern ist, wie Pferde sind
Es soll nicht durchgehen
Auf seinem Rücken liegt Freiheit
Sprengkraft
Wie Dynamit massive Felsformationen
zu sprengen vermag,
so kann das Stottern
starre Denkstrukturen sprengen,
das voreilige Schliessen
von Beobachtbarem
auf Inneres,
auf Gefühle, Absichten und Einstellungen,
es sprengt
die Einteilung von Menschen in Schubladen,
sprengt die Schablonen von Normalität,
sprengt Wertungen, Urteile, Verurteilungen.
Der Wagen
Manchmal ist das Stottern wie ein Wagen,
der morgens wegfährt, und erst da sieht man,
dass er im Regen der Nacht ein helles Rechteck
auf dem Boden hinterlassen hat.
Die Wärme des Tages trocknet die Steine ringsum,
doch wird sich der Wagen abends, wenn er zurückkehrt,
wieder auf seinen vertrauten Platz stellen,
so, als sei er nie weggewesen.
Frieden
Das Stottern liegt ruhig da wie ein See
Im Morgendunst die kleinen Fischerboote
Sanfte Wellen, die ans Ufer schwappen
Glucksen im Wasser, von Fischen
Es ist da, friedlich
Kein Seeungeheuer in Sicht, keine Bedrohung
Teleskop
Nicht schwarz oder weiss
Nicht Stadt oder Land
Eher
Wie ein abgerolltes Massband
Wann
Tritt die Nacht in den Tag
Mit Lautstärken
Stufenlos veränderbar
Wo Stottern beginnt
Und wo es endet
Liegt in unser aller
Augen
500 Jahre
Während ein Eishai 500 Jahre lang
durch die Tiefen des Meeres geschwommen ist,
haben viele Menschen dazugelernt:
Dass sie in Frieden zusammenleben können,
auch wenn sie sehr verschieden sind.
Dass ein glückliches Leben möglich ist
auch mit einem Handicap wie dem Stottern.